Samstag, 15. Juni 2013

Armut im Islam



Arme und Armut aus muslimischer Sicht

Der „Wohlfahrtsstaat“ ist gerade in der heutigen Zeit mit den zunehmenden Gegensätzen zwischen Arm und Reich ein viel diskutiertes Thema. Dies gilt in besonderem Maße auch auf für den Islam. Viele muslimische Autoren setzen sich mit der Diskussion um die Beseitigung von Armut und den Möglichkeiten auseinander, die ihnen der Islam in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht dazu bietet. Denn für Muslime ist der richtige Umgang mit Armen ein zentraler Aspekt ihres Glaubens. Der Koran beinhaltet mehrere Suren, die sich mit Armut befassen, außerdem stellt die Armenfürsorge durch die „Almosensteuer“, Zakat, eine der fünf Säulen des Islam und damit eine Verpflichtung für jeden Gläubigen Muslim da.
Wie genau sieht also die koranische Betrachtung von Armut und Armen aus? Welche Pflichten und Rechte lassen sich daraus für die Muslime ableiten? Inwiefern ist in einem nach islamischen Prinzipien organisierten Staat die Wohlfahrt automatisch gegeben? Welchen Problemen bei der Erfüllung ihrer Pflicht gegenüber den Armen stehen Muslime in der Diaspora gegenüber und wie werden diese durch internationale muslimische karitative Organisationen gelöst? Diese Fragen will der folgende Text beantworten.

1. Armut und Arme im Koran
Zunächst ist festzustellen, dass die muslimische Armenvorstellung christliche und jüdische Vorbilder mit einbezieht oder darauf zurückgreift. So gibt es im Bereich der Armut und Armenfürsorge im Koran deutliche Hinweise auf die Beziehung zu Christen- und Judentum. Insbesondere die Almosensteuer stellt eine im Koran festgeschriebene interreligiöse Form der sozialen Fürsorge dar und zeigt, dass Arme und Armut ein Religionen übergreifendes Thema sind.
Dies ergibt sich hinsichtlich des Judentums aus zwei Koransuren:
2:83 „Und (damals) als wir die Verpflichtung der Kinder Israels (auf folgende Gebote) entgegennahmen: Ihr sollt nur (dem alleinigen) Gott dienen. Und zu den Eltern (sollt ihr) gut sein, und (ebenso) zu den Verwandten, den Waisen und den Armen. Und sprecht freundlich zu den Leuten! Und verrichtet das Gebet und gebt die Almosensteuer! [...]“ und
5:12 „Gott hat doch (seinerzeit) die Verpflichtung der Kinder Israels entgegengenommen. (...) Und Gott sagte: ‚ Ich bin mit euch. Wenn ihr das Gebet verrichtet, die Almosensteuer gebt, an meine Gesandten glaubt und ihnen helft und Gott ein gutes Darlehen gebt (indem ihr gute Werke tut), werde ich euch eure schlechten Taten tilgen und euch in Gärten eingehen lassen, in deren Niederungen (w. unter denen) Bäche fließen.“.[1]
Hier wird ein ursächliches Charakteristikum der koranischen Zakat deutlich, da sie als Möglichkeit für die Juden angesehen wird, Vergebung zu erlangen. Die Verbindung zum Christentum stellt der Koran direkt durch ein entsprechendes Zitat von Jesus in Sure 19:30-31 her. Darin heißt es:
„Er (d.h. Jesus) sagte‚ ich bin der Diener Gottes. Er hat mir die Schrift gegeben und mich zu einem Propheten gemacht. 31 Und er hat gemacht, dass mir, wo immer ich bin, (die Gabe des) Segen(s) verliehen ist, und mir das Gebet (zu verrichten) und die Almosensteuer (zu geben) anbefohlen , solange ich lebe.“[2]
Alle drei Koranstellen belegen einen engen Kontakt zwischen den Buchreligionen im Hinblick auf ihr Verständnis von Armut und Armen. Wie sieht nun das konkrete Armutsverständnis der Muslime gemäß Prophet und Koran aus?
Nach einer Aussage von Mohammed gilt, dass der Islam Armut als ein gefährliches Unglück ansieht, dessen schlechte Konsequenzen sich sowohl auf den Einzelnen als auch auf die gesamte Gesellschaft auswirken.[3] So wird Armut als Bedrohung für den Glauben sowie für Charakter und Benehmen der Armen angesehen und gefährdet die Stabilität von Familien.
Konkret sind im Koran die Armen und damit Almosenberechtigten mehrfach in ‚Listen’ definiert. Als die wichtigste dieser Listen kann die Sure 9:60 angesehen werden, sie lautet:
„Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen (?) (bestimmt), (ferner für) diejenigen, die damit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam) gewonnen werden sollen (w. diejenigen, deren Herz vertraut gemacht wird), für (den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die verschuldet sind, für den heiligen Krieg (w. den Weg Gottes) und (für) den, der unterwegs ist (oder: (für) den, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. den Sohn des Wegs). (Dies gilt) als Verpflichtung von Seiten Gottes. Gott weiß Bescheid und ist weise.“[4]
Bezogen auf die Moderne fallen die Mehrzahl der hier genannten Nutznießer weg, dies gilt zum Beispiel ganz eindeutig für den Sklavenfreikauf. Daher soll im Folgenden nur auf die zwei größten Gruppen von Almosenempfängern eingegangen werden, die der Islam kennt. Hier unterscheidet der Koran zwei Arten von Armen, die ‚faqara’ und die ‚miskin’ (Bedürftige). Laut Koran Sure 90:16 bezeichnet der Begriff miskin, „einen Armen, der sich im Staube wälzt“. Das heißt einen Bedürftigen, der so hilflos ist, dass er seine Not zwangsweise öffentlich eingestehen muss.[5] Im Gegensatz dazu versteht man unter faqara passive Armen, die um nichts bitten.[6]
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob der Koran Armut dem Reichtum vorzieht. Die Überlieferungen geben Hinweise darauf, dass Armut bevorzugt wird, da dadurch Arroganz vermieden wird, auch kommen die Armen als Erste in den Himmel.[7] Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Islam die Armut als Tugend ansieht und zum bewussten Verzicht auf Reichtum auffordert. Vielmehr betont er nach den großen Überlieferungen von Prophet und Prophetengefährten das Verbot von Betteln, Mohammed selbst hat Betteln nur drei Personengruppen erlaubt: den sehr Armen, hoch Verschuldeten oder einer Person die Kompensation benötigt.[8] Im Wesentlichen lässt sich als Grundaussage festhalten, dass Arme und Reiche aufeinander angewiesen: „Der Arme benötigt das Geld des Reichen, der Reiche die Arbeitskraft des Armen.“[9]
Als besten Weg zur Beseitigung von Armut sieht der Koran die eigene Arbeit an und verweist dabei auf das Vorbild der Propheten, die ebenfalls Selbstversorger waren. In diesem Sinne ist auch Sure 4:100 zu verstehen: „Wenn einer um Gottes willen auswandert, findet er auf der Erde viel Gelegenheit, sich (aus seiner bisherigen Umgebung) zurückzuziehen, und Spielraum (genug). Und wenn einer sein Haus verlässt, um zu Gott und seinem Gesandten auszuwandern, und ihn hierauf der Tod ereilt (w. erreicht), fällt es Gott anheim, ihn zu belohnen. Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben.“[10] Demnach ist die Emigration und eine Leben im Ausland, auch im nicht-muslimischen Gebiet, einem Leben in Armut vorzuziehen, wenn es in der Fremde Arbeit gibt. Der Koran legitimiert somit die Existenz von muslimischen Gastarbeitern im europäischen Ausland, wenn dadurch beseitigt beziehungsweise vermieden wird.
Die Fürsorge für Arme zum Beispiel durch Armenspeisung ist im Koran auch mehrfach als Sühne verankert, beispielsweise für Eidbrüche. Eine Weigerung den Armen zu helfen gilt im Islam als gleichbedeutend mit unangemessener Liebe zum Reichtum. So besagt Sure 89:17-20: „Nein! Ihr seid (eurerseits) nicht freigebig gegen die Waise 18 und Haltet euch nicht gegenseitig dazu an, dem Armen (etwas) zu essen zu geben, 19 zehrt vielmehr das Erbe (eurer Schützlinge) vollständig auf 20 und liebt Hab und Gut über alles.“[11] Umgekehrt gilt als Rechtschaffen, wer Speise trotz Eigenbedarf abgibt, so Sure 76, 8: „Und gaben (hin und wieder) einem Armen, einer Waise oder einem Gefangenen etwas – mochte es ihnen noch so lieb (und für den eigenen Verbrauch erwünscht) sein – zu essen“[12]).[13] Die moralische Pflicht der Reichen für Arme zu sorgen, findet sich auch im islamischen Familienrecht, welches das Recht naher bedürftiger Verwandter beinhaltet, Unterhalt von denen zu beanspruchen, die genug Besitz haben.
Neben dem Koran geben auch die Prophetentradition Sunna und die Überlieferungen, hadith, Hinweise zu der muslimischen Pflicht gegenüber den Armen. Exemplarisch sei hier eine Aussage des vierten Kalifen Ali zum richtigen Umgang mit Armut im göttlichen Sinne zitiert:
„Allah hat es jedem Reichen als Pflicht auferlegt von seinem Reichtum zu zahlen was auch immer ausreichend für die Armen ist. Wenn der Arme hungert oder unbekleidet ist oder unter Schwierigkeiten leidet, dann liegt es daran, dass die Reichen ihm Mittel vorenthalten. Dementsprechend steht es dem allmächtigen und überragenden Gott zu, ihn (d.h. den Reichen) zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen.“[14]
Aus dem bisher Gesagten ist ersichtlich, wie ernst der Islam die Themen Armut und Arme nimmt.  So darf sich eine Gesellschaft nicht als islamisch bezeichnen, wenn sie zulässt, dass einige im Luxus leben, andere jedoch total verarmt sind, da dies dem koranischen Prinzip der Fairness widerspricht.[15] Welche konkreten Rechte und Pflichten lassen sich also für den muslimischen Staat und für einzelne Muslime feststellen? Welche institutionellen Möglichkeiten gibt es für soziale Einrichtungen im Islam?

2. Das islamische Allgemeinwohl und seine Institutionen
Das islamische Prinzip des Allgemein Wohls (al-maslahah al-ammah) sieht vor, dass die Armen ein Recht auf den Reichtum der Wohlhabenden haben, damit die Grundbedürfnisse jedes Einzelnen in der Gesellschaft erfüllt werden.[16] Was versteht der Islam als Grundbedürfnisse des Menschen? Islamische Juristen erkennen insgesamt drei Typen von menschlichen Bedürfnissen an. Sie unterteilen dabei in die Notwendigkeiten (Daruriyya), Bedürfnisse zur Verbesserung der Lebensumstände (Tajiyyat) und Luxusbedürfnisse (Tahsiniyyat).[17] Für die muslimische Pflicht zur Armenfürsorge ist die erste Art, Notwendigkeiten, relevant. Die hierunter fallenden Bedürfnisse müssen auf jeden Fall von der Gesellschaft erfüllt werden. Konkret bedeutet dies die Sicherheit der physischen Existenz, Ausübung der Religion, Bereitstellung von Bildung, Schutz der Familie und einen mindest Grundbesitz, zum Beispiel eine Unterkunft.
Um die Muslime in die Lage zu versetzen, dieser Vorstellung nachzukommen, hat der Islam mehrere Möglichkeiten vorgesehen: die verpflichtende Sozialabgabe Zakat, das freiwillige Almosen Sadaqa und die wohltätige Stiftung Waqf. Insbesondere die Zakat gilt als starkes soziales Sicherheitssystem, weil der Staat für das Einsammeln dieser Pflichtabgabe von den Reichen und ihre Verwendung für die spezifischen Ziele der Bedürftigen verantwortlich ist. Die große Bedeutung der Zakat als dem Gebet gleichrangiger Pflicht lässt sich aus der Tatsache belegen, dass sie im Koran an mindestens fünf Stellen als solche neben der Aufforderung zum Beten aufgeführt ist. Beispiele hierfür liefern die Suren 33,33 „Und bleibt in eurem Haus (Variante: benehmt euch in eurem Haus mit Würde und (Anstand)), putzt euch nicht heraus, wie man das früher im Heidentum zu tun pflegte, verrichtet das Gebet, gebt die Almosensteuer und gehorchet Gott und seinem Gesandten“, sowie 2:43, 83, 110 und 4:77 jeweils mit der Aufforderung „Und verrichtet das Gebet, gebt die Almosensteuer“.[18]
 Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Sadaqa und Waqf um freiwillige Formen des Spendens genannt Inflaq, die der Koran als erwünschte Tugend ansieht, und mit deren Hilfe Einkommen besser verteilt wird.[19] Sadaqa als freiwillige Spende ist meistens mit islamischen Feiertagen oder Familienfeiern verbunden. Die Sadaqa al-Fitr, das heißt die Spende anlässlich des Fastenbrechens am Ende des Ramadan, ist die wichtigste Form von Sadaqa. Inwiefern sie tatsächlich freiwilligen Charakter hat, ist jedoch unter muslimischen Rechtsgelehrten umstritten, da der Prophet Muhammad in vielen Überlieferungen zu ihrer Zahlung aufgefordert haben soll: „Der Gesandte Gottes befahl jedem Muslim, Sklave oder Freier, männlich oder weiblich, minderjährig oder volljährig, vor dem Id-Gebet ein Maß Datteln und Gerste als Sadaqat al-Fitr zu zahlen.“[20] Es handelt sich insofern um eine muslimische Pflicht, da nur durch Leistung dieser Spende das Fasten als vollständig gilt und von Gott akzeptiert wird. Weitere vom Islam vorgesehene freiwillige Almosen anlässlich von Feierlichkeiten sind die Spende bei der Geburt eines Kindes (Aqiqa), beim Hochzeitsfest (Walima), bei religiösen Festen (Id), zum Gedenken (Nazr) und im Testament (Wasiya).[21] Sie unterscheiden sich von der Zakat dadurch, dass sie keinen Pflichtcharakter haben und ihre Höhe individuell je nach Vermögensverhältnissen des Gebers bestimmt werden kann.
Grundlegend für die gesamte muslimische Armenfürsorge ist, dass dabei der Selbstrespekt der Armen nicht verletzt werden darf und die Hilfe sie möglichst in die Lage versetzen soll, sich auf Dauer selbst zu versorgen. Dieser letzte Gedanke hat in der Moderne durch neue Möglichkeiten der Armenfürsorge und Wohlfahrt wie Minikredite zusätzliche Dimensionen gewonnen. Grundsätzlich gilt für Finanzhilfen an Muslime wie für das gesamte islamische Bankenwesen, dass alle Transaktionen dem islamischen Recht, Scharia, entsprechen müssen, also keinen Profit beinhalten dürfen und für soziale Gleichheit sowie gleichmäßige Verteilung von Reichtum sorgen müssen. Dementsprechend ist das Hauptziel von Banken gebundener Armenfürsorge die Förderung von humanen Fähigkeiten, wie Wissensvermittlung und Bekämpfung von Analphabetismus. Auf diese Weise ist der Gedanke einer späteren Selbstversorgung und die Erhaltung des Selbstrespekts gegeben, da die Empfänger solcher Mittel sich zugleich zur Erfüllung bestimmter Pflichten bereit erklären.

3. Der islamische Wohlfahrtsstaat
Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftssystemen wie dem Kapitalismus oder Sozialismus schreibt der Islam die Ausrottung von Armut per Gesetz von Anfang an vor. Soziale Sicherheit hat durch ihre Verankerung im Koran den Charakter eines Befehls, abgeleitet aus Sure 9:103-104:
„Nimm aus ihrem Vermögen eine Almosengabe, um sie damit rein zu machen und zu läutern, und sprich den Segen (oder:das Gebet) über sie! Dein Segen (oder:Gebet) ist eine Beruhigung für sie. Gott hört und weiß (alles). – 104 Wissen sie (denn nicht, dass Gott es ist, der Buße von seinen Dienern annimmt und (dass er) der Empfänger der Almosengaben ist (w. und die Almosengaben (entgegen)nimmt), und dass er der Gnädige und Barmherzige ist?“[22]
 Entsprechend ist jeder an der muslimischen Lehre orientierte Staat oder jede Gemeinde seit Gründung der Religion dazu verpflichtet ein Sozialsicherheitssystem zu organisieren mit der Absicht sicherzustellen, dass die lebensnotwendigen Grundbedürfnisse aller erfüllt sind.
Studien belegen, dass sich islamische Herrscher immer als Teil ihrer Machtlegitimation verpflichtet sahen, für die ärmeren Bevölkerungsschichten zu sorgen. Ein klassisches Beispiel hierfür sind die mittelalterlichen islamischen Krankenhäuser, welche anders als in Europa vor allem für Arme und Bedürftige gedacht waren und der übrigen Bevölkerung nur in Notfällen offenstanden.[23] Auch gab es bereits im 19. Jahrhundert in Ägypten einen staatlichen Hilfsfonds mit konkreten Kriterien für die Bereitstellung von Sozialleistungen und ihre Beantragung, die Dabliyya, welche sich ansatzweise mit dem deutschen Sozialamt vergleichen lässt.[24] Aktuelle Vorstellungen zur islamischen Armenfürsorge können somit auf eine kontinuierliche Tradition in der Geschichte zurückgreifen.
Der moderne islamische Wohlfahrtsstaat beziehungsweise Wirtschaftswohlfahrtspolitik beruht auf insgesamt zehn Kernprinzipien, die sich aus dem Koran ableiten lassen. Insbesondere gilt Sure 16,90 als Hauptleitlinie für ein islamisches Wirtschaftssystem,[25] sie lautet:
 „Gott befiehlt (zu tun) was recht und billig ist, gut zu handeln und den Verwandten zu geben (was ihnen zusteht). Und er verbietet (zu tun), was abscheulich und verwerflich ist, und gewalttätig zu sein. Er ermahnt euch (damit). Vielleicht würdet ihr die Mahnung annehmen.“[26]
Als Grundsatz ist festzuhalten, dass Allah den Muslimen Reichtum und Besitz als Geschenk übergeben hat, selbst aber der eigentliche Besitzer bleibt. Eigentum beinhaltet somit die Pflicht damit entsprechend den islamischen Normen umzugehen, sodass Geld immer in Bewegung ist, keiner ausgebeutet wird und soziale Ungleichheit sowie Klassenkonflikte ausgeräumt werden. Dabei gilt, dass jeder Einzelne für den im islamischen Sinne korrekten Umgang mit seinem Besitz verantwortlich ist. Die muslimische Wirtschaftsphilosophie begrenzt somit die absolute Freiheit des Individuums durch das Prinzip der Verantwortung und verlangt von ihm kontinuierlich so zu handeln, dass er seinen eignen materiellen Wohlstand zugunsten der Bedürftigen verringert.[27]
Der islamische Wohlfahrtsstaat begründet sich darüber hinaus auf dem Gedanken der Fairness. Gerechtigkeit im Islam beinhaltet ein umfassendes Programm, in dem die Rechte und Pflichten der Menschen zur Formulierung und Durchsetzung von sozialer Politik sowie dem Umgang mit sozialen Gütern als Grundlage menschlicher Gleichheit gelten.[28] Der Aufbau von sozialer Gerechtigkeit ist folglich gewissermaßen die Daseinsberechtigung des Islam, aus ihr ergibt sich die kollektive Pflicht (fard kifayah). Dementsprechend sind die Bessergestellten in der Gesellschaft dazu verpflichtet, für die Ärmeren zu sorgen, insbesondere für diejenigen, die zum Beispiel durch körperliche Beeinträchtigung nicht zur Selbstversorgung fähig sind.[29] Allerdings soll dabei keine Abhängigkeit entstehen, das Grundziel der Finanzierung von Armen beinhaltet vielmehr vor allem Investitionen, die dazu dienen, humane Fähigkeiten wie Bildung zu fördern.
Insgesamt lassen sich drei Hauptziele auf dem Gebiet der Reichtumsverteilung im Islam feststellen: a) die Garantie der Erfüllung der Grundlagenbedürfnisse aller, b) Ausgeglichenheit nicht jedoch Gleichheit bei privatem Einkommen und c) Beseitigung von extremen Ungleichheiten im privaten Einkommen und Vermögen.[30] Folglich muss die Verteilung von Reichtum im Islam immer einem fairen und gleichmäßigen Muster entsprechen, wofür Zakat, freiwillige Spenden und Erbregeln als Mittel zur Verfügung stehen. Außerdem beinhaltet der Koran die Pflicht von Verwandten, für ärmere Familienmitglieder zu sorgen. Grundlage für diese moralische Verantwortung jedes Muslims gegenüber seinen Glaubensgenossen sind Sure 70, 24-25 „die sich verpflichtet fühlen, einen bestimmten Anteil an ihrem Vermögen dem Bettler und Unbemittelten zu überlassen“ und Sure 73, 20 „...Aber verrichtet das Gebet, gebt die Almosensteuer und gebt (indem ihr gute Werke tut) Gott ein gutes Darlehen!“[31] Diese und weitere Koranstellen machen die Sorge für das Wohlergehen und dessen Förderung zu einem unverletzlichen Befehl der Pflichterfüllung gegenüber dem Mitmenschen, dem huquq al ibad.[32]
Neben der Zakat bietet der Islam mit der Waqf, der wohltätigen Stiftung, das ideale Mittel zur Gründung sozialer Einrichtungen an. Diese freiwillige Finanzspende der Reichen dient dazu, regierungsunabhängige soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser zu errichten.[33] In dieser Form muss eine Waqf Einrichtung sich nicht ausschließlich an Arme richten, sondern sie kann auch auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sein. Ihre wesentlichen Merkmale sind ihre Dauerhaftigkeit und Nutzbarkeit zur Bereitstellung von Einkommen, Bildungsmöglichkeiten oder Arbeitsplätzen für sozial Schwache. Wegen dieser bedeutenden Funktion gibt es in vielen islamischen Ländern eigene Ministerien, die sich um die Erhaltung und Kontrolle von wohltätigen Stiftungen kümmern. Der muslimische Ökonom Saed Abul Hasan beschreibt anschaulich wie Waqf kombiniert mit Zakat als Quelle genutzt werden kann, um Einkommen für Arme zu schaffen (vgl. Abb. Nr.1). Er führt hier das Konzept der Kooperation (Ta’awun) ein, welches die Muslime zum Aufbau von wohltätigen Organisationen auffordert. So sollen zum Beispiel Großunternehmer aus Industrie und Handel Kleinbetriebe oder Neustarter unterstützen, anstatt sie durch unlautere Mittel zu behindern.[34]
Als den Eckpfeiler des islamischen Sozialsicherheitssystems bewerten die Gelehrten jedoch eindeutig die Zakat, da sie die Erwartung beinhaltet, für jeden Bürger ein Minimum an Lebensstandard sicherzustellen und damit die Wirtschaft auf eine Linie mit dem Prinzip der Gleichheit zu bringen..[35] Trotzdem muss immer beachtet werden, dass die Zakat keinen Ersatz für andere soziale Maßnahmen durch den Staat, wie Versicherung, Arbeitslosenunterstützung usw. darstellt. Sie ist vielmehr eine soziale Selbsthilfeinstitution, die gemeinsam mit weiteren Maßnahmen dazu dienen soll, die Armut zu reduzieren. Allerdings ist der muslimische Staat dazu verpflichtet, sowohl dass Einsammeln als auch die korrekte Verteilung der Zakat durch Beamte sicherzustellen. Hierzu dürfen die Behörden gemäß Koran sogar Zwang anwenden.[36]
Moderne islamische Wirtschaftswissenschaftler unterstreichen vor allem die Rolle von Zakat als Vermehrungsfaktor von Einkommen. Sie erklären dies durch die Beziehung zwischen Zakat Rate und Verdienst beruhend auf sich ändernder Investitionsebene. Ihr Argument ist, dass jeder wohlhabende Muslim von sich auch Vermögen aktiv einsetzt, anstatt es zu horten, da der Besitz einer größeren Vermögenssumme zeitgleich eine höhere Zakatrate beinhaltet.[37] Folglich gehen die muslimischen Ökonomen davon aus, dass Reiche von sich aus Investitionen vornehmen, um nicht zu viel Zakat zahlen zu müssen und so gleichzeitig dem Wohl der Allgemeinheit dienen, beispielsweise durch Schaffung neuer Arbeitsplätze. In diesem Sinne darf Zakat auch für staatlich organisierte soziale Hilfsprogramme genutzt werden, die über ihre eigentlichen Aufgaben im koranischen Sinne hinausgehen. Hier zeigt sich eine klare Anpassung von urislamischen Normen an die Gegebenheiten der Moderne, da unter Möglichkeiten für Zakat Nutzung unter anderem Schaffung für Arbeitsplätze, Familienwohlfahrt, Altenpflege, Arbeitslosenversicherung und die Sicherung eines Mindesteinkommens aufgelistet sind.[38]
Das hier bisher vorgestellte Bild des islamischen Wohlfahrtssystems auf Grundlage der Zakat beinhaltet jedoch ein Schlüsselproblem. Es ist einzig und allein in einem gänzlich islamischen Staat mit der Scharia als Rechtsgrundlage möglich. Folglich fordern islamische Wirtschaftswissenschaftler und Befürworter des Islamismus den Aufbau von islamischen Staaten, in denen dass Allgemeinwohl von der Gesellschaft garantiert und soziale Gerechtigkeit mittels der Zakat manifestiert würde.[39] Wie die Geschichte am Beispiel des Iran und Sudan zeigt, ist ein solcher Staat selbst in der islamischen Welt kaum realisierbar. Dennoch sind islamische Ökonomen vor allem aus den ärmsten muslimischen Ländern, wie Pakistan oder Bangladesh,[40] darum bemüht zumindest Teile eines islamischen Wohlfahrtsstaates aufzubauen. Wenn man sich diese Situation bewusst macht, wird klar, wie viel schwerer es für Muslime in Europa ist, die vom Islam vorgesehenen Bestimmungen zur Linderung von Armut zu erfüllen. Wie sehen diese Probleme aus und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?

4. Muslime in der Diaspora: Umgang mit religiösen Pflichten im Nicht-muslimischen Staat
Für Muslime in der Diaspora besteht grundsätzlich das Problem, wie sie ihre religiösen Pflichten erfüllen sollen. Da sie nicht in einem nach islamischen Prinzipien organisierten Staat leben, wären sie grundsätzlich von ihrer Pflicht zur Wohlfahrt befreit. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Eigenschaft der Zakat als einer der fünf Säulen des Islam, die jeder wohlhabende Muslim einmal jährlich zu leisten hat. Hier stehen also Pflicht des Gläubigen und die im Islam vorgesehene staatliche Verantwortung zur Armenfürsorge im Widerspruch miteinander. Letztere ist wie zum Beispiel in Deutschland durch das soziale Netz von Arbeitslosengeld und Sozialfürsorge gegeben. So sieht Ciazkca das deutsche Prinzip der Subsidiarität als vergleichbar mit dem islamischen Konzept des Waqf an, da es eine hervorragende Kooperation und Aufteilung von staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen auf dem Gebiet durch Sozialdienststellen gewährleiste. Auch sorge das Subsidiaritätsprinzip ganz im islamischen Sinn dafür, dass die Mittel tatsächlich die Bedürftigen erreichten.[41] Durch den nicht-islamischen Staatscharakter existiert jedoch trotz gelungener Armenfürsorge keine staatliche Instanz zur Einsammlung von Zakat-Geldern, so dass Muslime ihrer Glaubenspflicht genüge tun könnten.
Gespräche mit Muslimen in Deutschland haben im Sinne von Ciazkca ergeben, dass diese sich durch das westliche Sozialsystem als genügend gesichert betrachten, da es auch für sie gültig ist. Ihrer Zakatpflicht kommen sie daher häufig nach, indem sie diese Abgabe individuell an ihren Heimatort oder Verwandte senden, die bedürftig sind. Grundsätzlich gilt in solchen Fällen, dass der dritte Glaubenspfeiler für Diaspora Muslime eine private Angelegenheit ist. Nur wenn es sich um eine größere Gemeinschaft von Muslimen in der Diaspora mit einer eigenen Moschee handelt, ist deren Vorsteher, der Imam, für den korrekten Umgang mit der Pflichtabgabe, ihr Einsammeln und Verteilen, verantwortlich.[42] Die geschieht dann entweder innerhalb der Gemeinde, zum Beispiel durch die Nutzung der Zakatgelder für Koranunterricht oder den Erhalt der Moschee, oder durch ihre Weiterleitung an einen muslimischen Staat. Auch islamische Schulen sind eine traditionelle Anlaufstelle, an der Muslime ihre Zakatpflicht in nicht-muslimischen Gebieten nachkommen können.
Schließlich haben sich im Verlauf der 1980er Jahre muslimische Nicht-Regierungsorganisation und Projekte als eine weitere Möglichkeit für Muslime in der Diaspora aufgetan, ihre religiöse Pflicht zu erfüllen.[43] Dieses ist allerdings nicht gänzlich unumstritten. Grundsätzlich gibt es verschiedene Ansichten unter gegenwärtigen muslimischen Juristen, inwiefern die Zahlung von Zakat an Organisationen oder in Projekte im Einklang mit dem Islam steht. Gegner lehnen dies als gänzlich unislamisch ab, die Mehrheit der Gelehrten vertritt jedoch die Meinung, dass Spendengelder an muslimische soziale Organisationen geleistet werden dürfen. Deren Leistungen müssen allerdings im Einklang mit dem Koran stehen, die Projekte dürfen in keinem Fall Profit abwerfen.[44]  Üblicherweise engagieren sich muslimische Nicht-Regierungsorganisationen wie die Islamische Gesellschaft von Nordamerika in der Unterstützung von Schulen und Gemeindezentren auf lokaler Ebene und haben nebenher einen Zakat-Fond eingerichtet.[45] Hier muss zwischen regionalen und internationalen Organisationen unterschieden werden. Während auf einzelne Regionen ausgerichtete Verbände ihre Rolle hinsichtlich der Zakat eher auf freiwilliger Ebene, vergleichbar mit der Sadaqa ausüben, sind es vor allem überregionale und internationale Institutionen, die offen für online Zahlung von Zakat werben. Islamic Relief, Muslim Aid, und Human Concern International sind einige Beispiele für diese muslimischen Nicht-Regierungsorganisationen, die sich auch international in der humanitären Entwicklungsarbeit engagieren.[46]
Wie bisherige Studien zur Wirkung dieser Organisationen der gesamten arabisch-islamischen Welt zeigen, haben sich solche am Glauben orientierten sozialen Wohlfahrtsprogramme einen sehr guten Ruf verschafft.[47] Sie sind häufig effektiver als offizielle staatliche Sicherheitsnetzwerke, sodass sie diese teilweise sogar ersetzen. In den westlichen Staaten lassen sich jedoch auch im sozialen Bereich die Auswirkungen des 11. Septembers 2001 feststellen. So leiden hier islamische Wohlfahrtsorganisationen daran, dass sie als terroristisch betrachtet werden. Einige Einrichtungen wurden daher geschlossen, andere sind einem strengen Reglement zur Kontrolle ihrer Aktivitäten unterworfen.[48] Zu den Organisationen, die von diesen Maßnahmen betroffen waren, gehört auch die Global Relief Foundation. Diese islamische Wohltätigkeitsorganisation mit Sitz in Ilinois wurde am 14.12.2001 geplündert, geschlossen und 2002 zudem vom US Finanzministerium auf die Liste der „Designated Charities and Potential Fundraising Front Organizations for Foreign Terrorist Organizations“ gesetzt. Das FBI hatte eine Verbindung zwischen Osama bin Laden und dem Gründer der Organisation festgestellt auch soll es Beziehungen zu europäischen al-Qaida Mitgliedern gegeben haben.[49]
Trotz dieser problematischen Situation stellen diese internationale Wohltätigkeitsverbände gerade für Muslime in der Diaspora oft die einzige Möglichkeit dar, ihre koranischen Pflichten zu erfüllen. Das folgende Beispiel soll die Ansätze und Methoden solcher Gruppen vorstellen, wobei es insbesondere um Versuche geht, international anerkannt zu werden und Misstrauen entgegenzuwirken.

5. Internationale muslimische Wohlfahrtsorganisation – Fallbeispiel Islamic Relief
Islamic Relief ist eine weltweite muslimische Wohltätigkeitsorganisation.[50] Sie wurde im Jahr 1984 von Dr. Hany El Banna im Vereinigten Königreich von Großbritannien gegründet, ihre Zentrale befindet sich seit 22 Jahren in der englischen Stadt Birmingham. Mit einem Stab von gut hundert Mitarbeiten verschiedener ethnischer und kultureller Herkunft überwacht das Hauptquartier von dort aus die Tätigkeit ihrer über 1500 Festangestellten Mitarbeiter und zusätzlichen freiwilligen Helfer. Ihre Mission leitet die Organisation von Koran Sure 5:32 ab „Und Wenn einer jemanden (w. ihn) am Leben erhält (w. lebendig macht), soll es so sein, als ob er die Menschen alle am Leben erhalten (w. lebendig gemacht) hätte.“[51]
In diesem Sinne widmet sie sich der Verminderung der Armut und der Not der ärmsten Teile der Weltbevölkerung. Als unabhängige Nichtregierungsorganisation beteiligt sich Islamic Relief sowohl an Sofortmaßnahmen bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen als auch dauerhaften Wirtschafts- und Sozialentwicklungsprogrammen in Kooperation mit lokalen Gruppen.  Insgesamt weist die Organisation sechs verschiedene Aktivitätsbereiche aus: Einkommenssicherung /Entwicklungsprojekte, Jugend- bzw. Waisenfürsorge, Gesundheit und Ernährung, Bildung, Wasser und Hygiene sowie Notfall- bzw. Soforthilfe. Im Bereich Gesundheit und Ernährung arbeitet die Organisation beispielsweise an der Ausstattung und dem Aufbau von Gesundheitszentren, in denen Hebammen und Geburtshelfer ausgebildet werden können aber auch direkte Versorgung mit Medikamenten und Einweisung in richtige Ernährung und Hygiene gewährleistet wird.[52] Eng verbunden sind die Bereiche der Jugendfürsorge und Bildung. Beide leben neben der individuellen Fürsorge bei Waisen ein hohes Augenmerk auf die Rolle von Schul- und Berufsausbildung als Grundlage für stabile Familien und die Beseitigung von Armut.[53]
Der Tätigkeitsbereich von Islamic Relief umfasst über dreißig Staaten mit muslimischer Bevölkerung in Europa, Asien, dem Nahen Osten und Afrika. Der gegenwärtige Hauptanteil ihrer ‚Field Offices’ befinden sich derzeit in afrikanischen Staaten wie Somali, Äthiopien, Mali und dem Sudan sowie auf dem asiatischen Kontinent in Afghanistan, Indonesien, Indien und Pakistan. Aufgabe der ‚Field Offices’ ist es die Überwachung von langfristigen Entwicklungsprojekten in diesen Ländern, die Koordination von Waisenpatenschaften und die Durchführung von Nothilfemaßnahmen.[54] Mithilfe von online Publikationen gibt Islamic Relief umfassende Berichte über ihre Tätigkeit in verschiedenen Bereichen an. Einzelne Ausgaben ihrer online Zeitschrift legen so Rechenschaft über Projekte und deren Fortschritte in verschiedenen Katastrophengebieten ab. Als Beispiele seien hier der aktuelle Rechenschaftsbericht zur Notfallhilfe für die Zyklone in Nargis und Myanmar, die Berichte Ergebnissen von Hilfsmaßnahmen nach dem Erdbeben in Südasien 2006 und dem Tsunami 2004 sowie über Partnerschaften in Afghanistan, Libanon und Afrika aufgeführt.[55]

Islamic Relief ist also eine muslimische Nicht-Regierungsorganisation, welche sich von ihrem Aufgabenfeld her mit Caritas vergleichen lässt. Als nach islamischen Prinzipien eingerichtete Organisation richtet sich ihr Aufbau nach den im Islam vorgesehen Richtlinien für den Umgang mit Armut. So findet sich auf der englischen Homepage der Organisation eine ganze Reihe von Handbüchern, welche den Mitarbeitern aber auch potenziellen Spendern konkrete Definitionen für Armut, den von der Organisation vorgeschriebenen Benimmkodex und einzelne Programme liefern.
So bietet der zweite Anhang zu Armutsdefinitionen eine klare Bestimmung darüber, was die Anfänge der Armutslinie im muslimischen Sinne sind und welche Bedürfnisse der Islam als lebensnotwendig ansieht.[56] Verursacher für Not sind in diesem Zusammenhang beispielweise rechtliche Instrumente, welche die freie Ausübung der Religion einschränken, keine Gebetsplätze, ein zu niedriger Konsumlevel, der Zugang zu ausreichend Wasser, Nahrung sowie Ärzten und dadurch eingeschränkte Lebenserwartung sowie weniger als fünf Stunden freier Zeit pro Woche. Aufbauend auf dieser Definition geben weitere Quellen ausführliche Anleitungen wie Armen geholfen werden soll, eine Zukunft aufzubauen. Zweck dieser Handbücher, oder wie die Eigenbezeichnung der Organisation sagt ‚Learning Resources’, ist es den Mitarbeitern einen Leitfaden zu geben, mit dessen Hilfe Islamic Relief das Vertrauen in Projekte stärken will und zugleich die Option zur Kritik gewährleistet.
Die Organisation bietet zudem den Gläubigen vor allem im Ausland Möglichkeiten ihre (freiwilligen) Spenden und Zakatpflichten zu erfüllen, die zugleich als Finanzquelle dienen. Auf den homepages der verschiedenen ländergebundenen Islamic Relief Büros, so zum Beispiel der Deutschen Webseite, findet sich auch eine Rubrik, die umfassend über Spendenmöglichkeiten für Muslime informiert.[57] Die homepage der Mutterorganisation in Großbritannien bietet sogar eine online Zakat Berechnung an und geht umfassend auf mögliche Fragen zur Zakatplicht ein, z.B. welche Teile des Besitzes davon betroffen sind und wann gezahlt werden muss.[58]

6. Zusammenfassung
Die Darstellung zeigt, dass Armut und Arme eine zentrale Rolle im Leben aller Muslime spielen. Auch wenn Vorstellungen von einem islamischen Wohlfahrtsstaat sicherlich nur schwer zu realisieren sind, gibt es einige interessante Ansätze und Vergleiche zu westlichen Sozialsystemen. Insbesondere der Bereich der muslimischen internationalen Wohlfahrtsorganisationen zeigt ein großes Interesse der islamischen Weltbürger, an der internationalen Armutsbekämpfung und Entwicklungspolitik teilzunehmen. Hierzu liefern Koran, Prophetenbiografie und Überlieferungen sowohl auf die heutige Zeit übertragbare Institutionen als auch rechtliche Grundlagen und sogar eine finanzielle Basis. Die muslimische Sichtweise von Armut und Armen steht nicht nur im Einklang mit christlichen und jüdischen Vorstellungen, sondern übertrifft diese dadurch auf theoretischer Ebene sogar. Es muss jedoch beachtet werden, dass es zwar für Muslime in der Diaspora neuerdings verhältnismäßig leicht ist, die Grundsätze der Allgemeinwohlfahrt laut Koran zu erfüllen, global gesehen die Mehrzahl der Bevölkerung in islamischen Ländern aber nach wie vor in tiefster Armut lebt.


[1] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 19 und 81.
[2] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.]1993, S. 214.
[3] Dardawi, Yusuf al-: Poverty and it’s solution in Islam, Neu Delhi, 2004, S. 28.
[4] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage,  Stuttgart {u.a.], S. 130.
[5] Sentürk, Ömer Faruk: Wohltätigkeit im Islam – Die Zakat, Istanbul 2008, S. 135.
[6] Bonner, Michael: Poverty and Economics in the Qur’an.  In: Journal of Interdisciplinary History 35,3 2005), S. 391-406, S. 405.
[7] Bonner, Michael: The Kitab al-kasb attributed to al-Shaybani: In: Oriental Society 121,3 (2001), S. 410-427, S. 416.
[8] Dardawi, Yusuf al: Poverty and its Solution in Islam, New Delhi, 2004, S. 81 und S. 88.
[9] Übersetzt nach: Bonner, Michael: The Kitab al-kasb attributed to al-Shaybani. In: Oriental Society 121,3 (2001), S. 410-427, S. 417.
[10] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 71.
[11] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 429.
[12] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 416.
[13] Bonner, Michael: Poverty and Economics in the Qur’an,. In: Journal of Interdisciplinary History 35,3 (2005), S. 391-406, S. 396.
[14] Chapra, Umar M.: Islam and the Economic Challenge – the Islamic Foundation and the International Institute of Islamic thought, Markfield 1992, S. 271.
[15] Kuran, Timur: On the Notion of Economic Justice in Contemporary Islamic Thought, in: International Journal of Middle Eastern Studies (IJMES) 21,2 (1989), S. 171-191, S. 172.
[16] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and Income Distribution, Leicester 1991, S. 15-16.
[17] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and Income Distribution, Leicester 1991, S. 19.
[18] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 295,16, 19, 22 und 68.
[19] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and Income Distribution, Leicester 1991, S. 17 und S. 80.
[20] Buchari, Zakat 76 und Muslim, Zakat 12, zitiert nach: Sentürk, Ömer Faruk: Wohltätigkeit im Islam – Die Zakat, Istanbu, 2008, S. 75.
[21] Sentürk, Ömer Faruk: Wohltätigkeit im Islam – Die Zakat, Istanbul 2008, S. 73.
[22] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 142-143.
[23] Yasser, Tabbaa: The functional Aspects of Medieval Islamic Hospitals und Charity and Hospitality – Hospitals in the Ottoman Empire in the Early Modern Period, in: Bonner, Michael [u.a.]: Poverty and Charity in Middle Eastern Contexts, New York 2003, S. 95- 145.
[24] Ener, Mine: The Charity of the Khedive. In: Bonner, Michael [u.a]: Poverty and Charity in Middle Eastern Contexts, New York 2003, S. 185-203.
[25] Manzoor, Nayyer: Islamic Economic – A welfare Approach, Karachi 1986, S. 26-27.
[26] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.]1993, S. 193.
[27] Naqvi, Syed Nawab Haider: Individuel Freedom, social welfare and Islamic Economic order, Islamabad 1981, S. 20.
[28] Noor, Abdun: Outlining Social Justice from an Islamic Perspective, an Exploration. In: Humanomics 4.2 (1998), S. 3-23, S. 18.
[29] Sharif, Mohammed: Application of Islamic Economic System in a Contemporary Economy: An illustration with Poverty and Inequity in the USA. In: Humanomics 19,3.4 (2003), S. 41-54, S. 48.
[30] Munawar, Jabal (Hg.): Islamic Economic Institutions and the Elimination of Poverty, Leicester 1991, S. 6.
[31] Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 407 und 412.
[32] Chapra, Umar M: Islam and the Economic Challenge – the Islamic Foundation and the International Institute of Islamic thought, Markfield 1992, S. 205.
[33] Cizakca, Mevret (1986): Latest Development in the Western On-Profit Sector and the Implications for Islamic Awqaf, in: Chaudhury, Masud ul-Alam: Contributions to Islamic Economic Theory – A Study in Social Economic, London 1986 , S. 264.
[34] Saed, Abul Hasan M: Waqf, perpetual charity and poverty alleviation, in: International Journal of Social Economics 29,1.2 (2002), S. 131-151, S. 147.
[35] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and Income Distribution, Leicester 1991, S. 52.
[36] Farishta G. de Zayas: The Law and Philosophy of zakat (The Islamic Social Welfare System), Band 1, Damaskus 1960, S. 283.
[37] Chaudhury, Masudul Alam: Contributions to Islamic Economic Theory – A Study in Social Economic, London 1986, S. 13-14 und 18.
[38] Chaudhury, Masudul Alam: Contributions to Islamic Economic Theory – A Study in Social Economic, London 1986, S. 10.
[39] Weiss, Holger: Zakat and the Question of Social Welfare – An introductory essay on Islamic Economics and its implications for Social Welfare in: Ders. (Hg.): Social Welfare in Muslim Societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-38, S. 7 und 15.
[40] Siehe hierzu: Hassan, M. Kabi/Alamgir, Dewan A.H: Microfinancial Services and Poverty Alleviation in Bangladesh: A Comarative Analysis of Secular and Islamic NGOs. In: Iqbal, Munawar (Hg.): Islamic Economic Institutions and the elimination of Poverty, Leicester 1991, S. 113-187.
[41] Cizakca, Mevret: Latest Development in the Western non-Profit Sector and the Implications for Islamic Awqaf, in. Munawar, Iqbal (Hg.): Islamic Economic Institutions and the Elimination of Poverty, Leicester 1991, S. 263-297, S. 278.
[42] Weiss, Holger: Zakat and the question of social welfare: an introductory essay on Islamic economics and its implications for social welfare, In: Ders. (Hg.): Social welfare in Muslim societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-39, S. 26.
[43] Weiss, Holger: Zakat and the question of social welfare: an introductory essay on Islamic economics and its implications for social welfare, In: Ders. (Hg.) (2002): Social welfare in Muslim societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-39, S. 26.
[44] Al-Marzouqi, Salih bin Zaben: Investment of Zakat Money in profitable projects the revenues of which will be given to those who deserve them.  In: Contemporary Jurisprudence Research Journal 56 (2002,03), S. 8-18, S. 17.
[45] Weiss, Holger: Zakat and the Question of Social Welfare: an introductory essay on Islamic economics and its implications for social welfare, in: Ders.(Hg.): Social welfare in Muslim societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-38, S. 27.
[46] Genaue Informationen zu den einzelnen Organisationen bieten die folgenden Internetadressen: www.humanconcern.org; www.muslimaid.org.au, zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[47] Siehe hierzu: Iqbal, Munawar (Hg.): Islamic Economic Instiutions and the Elimination of Poverty, Leicester  1991.
[48] Harrigan, Jane/ El-Said, Hamed: Economic Liberalism, Social Capital and Islamic Welfare Provision, Basingstroke 2009, S. 9 und 15.
[49] Global Relief Foundation, http://en.wikipedia.org/wiki/Global_Relief_Foundation, zuletzt eingesehen am 08.12.2008.
[50] Die Homepage der Organisation findet sich unter: www.islamic-relief.com.
[51] Paret, Rudi: Der Koran,6.Auflage,  Stuttgart [u.a.] 1993, S. 82.
[52] www.islamic-relief.com/whatwedo/projectList.aspx?pjCAtID=2“, zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[53] www.islamic-relief.com/whatwedo/projectList.aspx?pjCatID=5 und 4, zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[54] www.islamicrelief.de/wo-wir-arbeiten/field-offices/, zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[56] Islamic Relief: Definitions of Poverty, Januar 2008, Annex 2, www.islamic-relief.com, zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[57] www.islamicreliefe/spende/, eingesehen am 08.12.2009.
[58] www.islamic-relief.com/zakat/, eingesehen am 08.12.2009.