Arme und Armut aus muslimischer Sicht
Der „Wohlfahrtsstaat“ ist gerade in der heutigen Zeit mit den
zunehmenden Gegensätzen zwischen Arm und Reich ein viel diskutiertes Thema.
Dies gilt in besonderem Maße auch auf für den Islam. Viele muslimische Autoren
setzen sich mit der Diskussion um die Beseitigung von Armut und den
Möglichkeiten auseinander, die ihnen der Islam in wirtschaftlicher und sozialer
Hinsicht dazu bietet. Denn für Muslime ist der richtige Umgang mit Armen ein
zentraler Aspekt ihres Glaubens. Der Koran beinhaltet mehrere Suren, die sich
mit Armut befassen, außerdem stellt die Armenfürsorge durch die „Almosensteuer“,
Zakat, eine der fünf Säulen des Islam und damit eine Verpflichtung für jeden
Gläubigen Muslim da.
Wie genau sieht also die koranische Betrachtung von Armut und
Armen aus? Welche Pflichten und Rechte lassen sich daraus für die Muslime
ableiten? Inwiefern ist in einem nach islamischen Prinzipien organisierten
Staat die Wohlfahrt automatisch gegeben? Welchen Problemen bei der Erfüllung
ihrer Pflicht gegenüber den Armen stehen Muslime in der Diaspora gegenüber und
wie werden diese durch internationale muslimische karitative Organisationen
gelöst? Diese Fragen will der folgende Text beantworten.
1. Armut und Arme im Koran
Zunächst ist festzustellen, dass die muslimische
Armenvorstellung christliche und jüdische Vorbilder mit einbezieht oder darauf
zurückgreift. So gibt es im Bereich der Armut und Armenfürsorge im Koran
deutliche Hinweise auf die Beziehung zu Christen- und Judentum. Insbesondere
die Almosensteuer stellt eine im Koran festgeschriebene interreligiöse Form der
sozialen Fürsorge dar und zeigt, dass Arme und Armut ein Religionen
übergreifendes Thema sind.
Dies ergibt sich hinsichtlich des Judentums aus zwei
Koransuren:
2:83 „Und (damals) als wir die Verpflichtung der Kinder
Israels (auf folgende Gebote) entgegennahmen: Ihr sollt nur (dem alleinigen)
Gott dienen. Und zu den Eltern (sollt ihr) gut sein, und (ebenso) zu den
Verwandten, den Waisen und den Armen. Und sprecht freundlich zu den Leuten! Und
verrichtet das Gebet und gebt die Almosensteuer! [...]“ und
5:12 „Gott
hat doch (seinerzeit) die Verpflichtung der Kinder Israels entgegengenommen.
(...) Und Gott sagte: ‚ Ich bin mit euch. Wenn ihr das Gebet verrichtet, die
Almosensteuer gebt, an meine Gesandten glaubt und ihnen helft und Gott ein
gutes Darlehen gebt (indem ihr gute Werke tut), werde ich euch eure schlechten
Taten tilgen und euch in Gärten eingehen lassen, in deren Niederungen (w. unter
denen) Bäche fließen.“.[1]
Hier wird ein ursächliches Charakteristikum der koranischen
Zakat deutlich, da sie als Möglichkeit für die Juden angesehen wird, Vergebung
zu erlangen. Die Verbindung zum Christentum stellt der Koran direkt durch ein
entsprechendes Zitat von Jesus in Sure 19:30-31 her. Darin heißt es:
„Er (d.h.
Jesus) sagte‚ ich bin der Diener Gottes. Er hat mir die Schrift gegeben und
mich zu einem Propheten gemacht. 31 Und er hat gemacht, dass mir, wo immer ich
bin, (die Gabe des) Segen(s) verliehen ist, und mir das Gebet (zu verrichten)
und die Almosensteuer (zu geben) anbefohlen , solange ich lebe.“[2]
Alle drei Koranstellen belegen einen engen Kontakt zwischen
den Buchreligionen im Hinblick auf ihr Verständnis von Armut und Armen. Wie
sieht nun das konkrete Armutsverständnis der Muslime gemäß Prophet und Koran
aus?
Nach einer Aussage von Mohammed gilt, dass der Islam Armut
als ein gefährliches Unglück ansieht, dessen schlechte Konsequenzen sich sowohl
auf den Einzelnen als auch auf die gesamte Gesellschaft auswirken.[3]
So wird Armut als Bedrohung für den Glauben sowie für Charakter und Benehmen
der Armen angesehen und gefährdet die Stabilität von Familien.
Konkret sind im Koran die Armen und damit Almosenberechtigten
mehrfach in ‚Listen’ definiert. Als die wichtigste dieser Listen kann die Sure
9:60 angesehen werden, sie lautet:
„Die Almosen
sind nur für die Armen und Bedürftigen (?) (bestimmt), (ferner für) diejenigen,
die damit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam)
gewonnen werden sollen (w. diejenigen, deren Herz vertraut gemacht wird), für
(den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die verschuldet sind, für den heiligen
Krieg (w. den Weg Gottes) und (für) den, der unterwegs ist (oder: (für) den,
der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. den Sohn des
Wegs). (Dies gilt) als Verpflichtung von Seiten Gottes. Gott weiß Bescheid und
ist weise.“[4]
Bezogen auf die Moderne fallen die Mehrzahl der hier
genannten Nutznießer weg, dies gilt zum Beispiel ganz eindeutig für den
Sklavenfreikauf. Daher soll im Folgenden nur auf die zwei größten Gruppen von
Almosenempfängern eingegangen werden, die der Islam kennt. Hier unterscheidet
der Koran zwei Arten von Armen, die ‚faqara’ und die ‚miskin’ (Bedürftige).
Laut Koran Sure 90:16 bezeichnet der Begriff miskin, „einen Armen, der sich im
Staube wälzt“. Das heißt einen Bedürftigen, der so hilflos ist, dass er seine
Not zwangsweise öffentlich eingestehen muss.[5]
Im Gegensatz dazu versteht man unter faqara passive Armen, die um nichts
bitten.[6]
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob der Koran
Armut dem Reichtum vorzieht. Die Überlieferungen geben Hinweise darauf, dass
Armut bevorzugt wird, da dadurch Arroganz vermieden wird, auch kommen die Armen
als Erste in den Himmel.[7]
Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Islam die Armut als Tugend ansieht
und zum bewussten Verzicht auf Reichtum auffordert. Vielmehr betont er nach den
großen Überlieferungen von Prophet und Prophetengefährten das Verbot von
Betteln, Mohammed selbst hat Betteln nur drei Personengruppen erlaubt: den sehr
Armen, hoch Verschuldeten oder einer Person die Kompensation benötigt.[8]
Im Wesentlichen lässt sich als Grundaussage festhalten, dass Arme und Reiche
aufeinander angewiesen: „Der Arme benötigt das Geld des Reichen, der Reiche die
Arbeitskraft des Armen.“[9]
Als besten Weg zur Beseitigung von Armut sieht der Koran die
eigene Arbeit an und verweist dabei auf das Vorbild der Propheten, die
ebenfalls Selbstversorger waren. In diesem Sinne ist auch Sure 4:100 zu
verstehen: „Wenn einer um Gottes willen auswandert, findet er auf der Erde viel
Gelegenheit, sich (aus seiner bisherigen Umgebung) zurückzuziehen, und
Spielraum (genug). Und wenn einer sein Haus verlässt, um zu Gott und seinem
Gesandten auszuwandern, und ihn hierauf der Tod ereilt (w. erreicht), fällt es
Gott anheim, ihn zu belohnen. Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben.“[10]
Demnach ist die Emigration und eine Leben im Ausland, auch im
nicht-muslimischen Gebiet, einem Leben in Armut vorzuziehen, wenn es in der
Fremde Arbeit gibt. Der Koran legitimiert somit die Existenz von muslimischen
Gastarbeitern im europäischen Ausland, wenn dadurch beseitigt beziehungsweise
vermieden wird.
Die Fürsorge für Arme zum Beispiel durch Armenspeisung ist im
Koran auch mehrfach als Sühne verankert, beispielsweise für Eidbrüche. Eine
Weigerung den Armen zu helfen gilt im Islam als gleichbedeutend mit
unangemessener Liebe zum Reichtum. So besagt Sure 89:17-20: „Nein! Ihr seid
(eurerseits) nicht freigebig gegen die Waise 18 und Haltet euch nicht
gegenseitig dazu an, dem Armen (etwas) zu essen zu geben, 19 zehrt vielmehr das
Erbe (eurer Schützlinge) vollständig auf 20 und liebt Hab und Gut über alles.“[11]
Umgekehrt gilt als Rechtschaffen, wer Speise trotz Eigenbedarf abgibt, so Sure
76, 8: „Und gaben (hin und wieder) einem Armen, einer Waise oder einem
Gefangenen etwas – mochte es ihnen noch so lieb (und für den eigenen Verbrauch
erwünscht) sein – zu essen“[12]).[13]
Die moralische Pflicht der Reichen für Arme zu sorgen, findet sich auch im
islamischen Familienrecht, welches das Recht naher bedürftiger Verwandter
beinhaltet, Unterhalt von denen zu beanspruchen, die genug Besitz haben.
Neben dem Koran geben auch die Prophetentradition Sunna
und die Überlieferungen, hadith, Hinweise zu der muslimischen Pflicht gegenüber
den Armen. Exemplarisch sei hier eine Aussage des vierten Kalifen Ali zum
richtigen Umgang mit Armut im göttlichen Sinne zitiert:
„Allah hat es
jedem Reichen als Pflicht auferlegt von seinem Reichtum zu zahlen was auch
immer ausreichend für die Armen ist. Wenn der Arme hungert oder unbekleidet ist
oder unter Schwierigkeiten leidet, dann liegt es daran, dass die Reichen ihm
Mittel vorenthalten. Dementsprechend steht es dem allmächtigen und überragenden
Gott zu, ihn (d.h. den Reichen) zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen.“[14]
Aus dem bisher Gesagten ist ersichtlich, wie ernst der Islam
die Themen Armut und Arme nimmt. So darf
sich eine Gesellschaft nicht als islamisch bezeichnen, wenn sie zulässt, dass
einige im Luxus leben, andere jedoch total verarmt sind, da dies dem
koranischen Prinzip der Fairness widerspricht.[15]
Welche konkreten Rechte und Pflichten lassen sich also für den muslimischen
Staat und für einzelne Muslime feststellen? Welche institutionellen
Möglichkeiten gibt es für soziale Einrichtungen im Islam?
2. Das islamische Allgemeinwohl und seine Institutionen
Das islamische Prinzip des Allgemein Wohls (al-maslahah
al-ammah) sieht vor, dass die Armen ein Recht auf den Reichtum der Wohlhabenden
haben, damit die Grundbedürfnisse jedes Einzelnen in der Gesellschaft erfüllt
werden.[16]
Was versteht der Islam als Grundbedürfnisse des Menschen? Islamische Juristen
erkennen insgesamt drei Typen von menschlichen Bedürfnissen an. Sie unterteilen
dabei in die Notwendigkeiten (Daruriyya), Bedürfnisse zur Verbesserung der
Lebensumstände (Tajiyyat) und Luxusbedürfnisse (Tahsiniyyat).[17]
Für die muslimische Pflicht zur Armenfürsorge ist die erste Art,
Notwendigkeiten, relevant. Die hierunter fallenden Bedürfnisse müssen auf jeden
Fall von der Gesellschaft erfüllt werden. Konkret bedeutet dies die Sicherheit
der physischen Existenz, Ausübung der Religion, Bereitstellung von Bildung,
Schutz der Familie und einen mindest Grundbesitz, zum Beispiel eine Unterkunft.
Um die Muslime in die Lage zu versetzen, dieser Vorstellung
nachzukommen, hat der Islam mehrere Möglichkeiten vorgesehen: die
verpflichtende Sozialabgabe Zakat, das freiwillige Almosen Sadaqa und die
wohltätige Stiftung Waqf. Insbesondere die Zakat gilt als starkes soziales
Sicherheitssystem, weil der Staat für das Einsammeln dieser Pflichtabgabe von
den Reichen und ihre Verwendung für die spezifischen Ziele der Bedürftigen
verantwortlich ist. Die große Bedeutung der Zakat als dem Gebet gleichrangiger
Pflicht lässt sich aus der Tatsache belegen, dass sie im Koran an mindestens
fünf Stellen als solche neben der Aufforderung zum Beten aufgeführt ist.
Beispiele hierfür liefern die Suren 33,33 „Und bleibt in eurem Haus (Variante:
benehmt euch in eurem Haus mit Würde und (Anstand)), putzt euch nicht heraus,
wie man das früher im Heidentum zu tun pflegte, verrichtet das Gebet, gebt die
Almosensteuer und gehorchet Gott und seinem Gesandten“, sowie 2:43, 83, 110 und
4:77 jeweils mit der Aufforderung „Und verrichtet das Gebet, gebt die
Almosensteuer“.[18]
Im Gegensatz dazu
handelt es sich bei Sadaqa und Waqf um freiwillige Formen des Spendens genannt
Inflaq, die der Koran als erwünschte Tugend ansieht, und mit deren Hilfe
Einkommen besser verteilt wird.[19]
Sadaqa als freiwillige Spende ist meistens mit islamischen Feiertagen oder
Familienfeiern verbunden. Die Sadaqa al-Fitr, das heißt die Spende anlässlich
des Fastenbrechens am Ende des Ramadan, ist die wichtigste Form von Sadaqa.
Inwiefern sie tatsächlich freiwilligen Charakter hat, ist jedoch unter
muslimischen Rechtsgelehrten umstritten, da der Prophet Muhammad in vielen
Überlieferungen zu ihrer Zahlung aufgefordert haben soll: „Der Gesandte Gottes
befahl jedem Muslim, Sklave oder Freier, männlich oder weiblich, minderjährig
oder volljährig, vor dem Id-Gebet ein Maß Datteln und Gerste als Sadaqat
al-Fitr zu zahlen.“[20]
Es handelt sich insofern um eine muslimische Pflicht, da nur durch Leistung
dieser Spende das Fasten als vollständig gilt und von Gott akzeptiert wird.
Weitere vom Islam vorgesehene freiwillige Almosen anlässlich von
Feierlichkeiten sind die Spende bei der Geburt eines Kindes (Aqiqa), beim
Hochzeitsfest (Walima), bei religiösen Festen (Id), zum Gedenken (Nazr) und im
Testament (Wasiya).[21]
Sie unterscheiden sich von der Zakat dadurch, dass sie keinen Pflichtcharakter
haben und ihre Höhe individuell je nach Vermögensverhältnissen des Gebers
bestimmt werden kann.
Grundlegend für die gesamte muslimische Armenfürsorge ist,
dass dabei der Selbstrespekt der Armen nicht verletzt werden darf und die Hilfe
sie möglichst in die Lage versetzen soll, sich auf Dauer selbst zu versorgen.
Dieser letzte Gedanke hat in der Moderne durch neue Möglichkeiten der
Armenfürsorge und Wohlfahrt wie Minikredite zusätzliche Dimensionen gewonnen.
Grundsätzlich gilt für Finanzhilfen an Muslime wie für das gesamte islamische
Bankenwesen, dass alle Transaktionen dem islamischen Recht, Scharia,
entsprechen müssen, also keinen Profit beinhalten dürfen und für soziale
Gleichheit sowie gleichmäßige Verteilung von Reichtum sorgen müssen.
Dementsprechend ist das Hauptziel von Banken gebundener Armenfürsorge die Förderung
von humanen Fähigkeiten, wie Wissensvermittlung und Bekämpfung von
Analphabetismus. Auf diese Weise ist der Gedanke einer späteren
Selbstversorgung und die Erhaltung des Selbstrespekts gegeben, da die Empfänger
solcher Mittel sich zugleich zur Erfüllung bestimmter Pflichten bereit
erklären.
3. Der islamische Wohlfahrtsstaat
Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftssystemen wie dem
Kapitalismus oder Sozialismus schreibt der Islam die Ausrottung von Armut per
Gesetz von Anfang an vor. Soziale Sicherheit hat durch ihre Verankerung im
Koran den Charakter eines Befehls, abgeleitet aus Sure 9:103-104:
„Nimm aus
ihrem Vermögen eine Almosengabe, um sie damit rein zu machen und zu läutern,
und sprich den Segen (oder:das Gebet) über sie! Dein Segen (oder:Gebet) ist
eine Beruhigung für sie. Gott hört und weiß (alles). – 104 Wissen sie (denn
nicht, dass Gott es ist, der Buße von seinen Dienern annimmt und (dass er) der
Empfänger der Almosengaben ist (w. und die Almosengaben (entgegen)nimmt), und
dass er der Gnädige und Barmherzige ist?“[22]
Entsprechend ist jeder
an der muslimischen Lehre orientierte Staat oder jede Gemeinde seit Gründung
der Religion dazu verpflichtet ein Sozialsicherheitssystem zu organisieren mit
der Absicht sicherzustellen, dass die lebensnotwendigen Grundbedürfnisse aller
erfüllt sind.
Studien belegen, dass sich islamische Herrscher immer als
Teil ihrer Machtlegitimation verpflichtet sahen, für die ärmeren
Bevölkerungsschichten zu sorgen. Ein klassisches Beispiel hierfür sind die
mittelalterlichen islamischen Krankenhäuser, welche anders als in Europa vor
allem für Arme und Bedürftige gedacht waren und der übrigen Bevölkerung nur in
Notfällen offenstanden.[23]
Auch gab es bereits im 19. Jahrhundert in Ägypten einen staatlichen Hilfsfonds
mit konkreten Kriterien für die Bereitstellung von Sozialleistungen und ihre
Beantragung, die Dabliyya, welche sich ansatzweise mit dem deutschen Sozialamt
vergleichen lässt.[24]
Aktuelle Vorstellungen zur islamischen Armenfürsorge können somit auf eine
kontinuierliche Tradition in der Geschichte zurückgreifen.
Der moderne islamische Wohlfahrtsstaat beziehungsweise
Wirtschaftswohlfahrtspolitik beruht auf insgesamt zehn Kernprinzipien, die sich
aus dem Koran ableiten lassen. Insbesondere gilt Sure 16,90 als Hauptleitlinie
für ein islamisches Wirtschaftssystem,[25]
sie lautet:
„Gott befiehlt (zu tun) was recht und billig
ist, gut zu handeln und den Verwandten zu geben (was ihnen zusteht). Und er
verbietet (zu tun), was abscheulich und verwerflich ist, und gewalttätig zu
sein. Er ermahnt euch (damit). Vielleicht würdet ihr die Mahnung annehmen.“[26]
Als Grundsatz ist festzuhalten, dass Allah den Muslimen
Reichtum und Besitz als Geschenk übergeben hat, selbst aber der eigentliche
Besitzer bleibt. Eigentum beinhaltet somit die Pflicht damit entsprechend den
islamischen Normen umzugehen, sodass Geld immer in Bewegung ist, keiner
ausgebeutet wird und soziale Ungleichheit sowie Klassenkonflikte ausgeräumt
werden. Dabei gilt, dass jeder Einzelne für den im islamischen Sinne korrekten
Umgang mit seinem Besitz verantwortlich ist. Die muslimische
Wirtschaftsphilosophie begrenzt somit die absolute Freiheit des Individuums
durch das Prinzip der Verantwortung und verlangt von ihm kontinuierlich so zu
handeln, dass er seinen eignen materiellen Wohlstand zugunsten der Bedürftigen
verringert.[27]
Der islamische Wohlfahrtsstaat begründet sich darüber hinaus
auf dem Gedanken der Fairness. Gerechtigkeit im Islam beinhaltet ein
umfassendes Programm, in dem die Rechte und Pflichten der Menschen zur
Formulierung und Durchsetzung von sozialer Politik sowie dem Umgang mit
sozialen Gütern als Grundlage menschlicher Gleichheit gelten.[28]
Der Aufbau von sozialer Gerechtigkeit ist folglich gewissermaßen die
Daseinsberechtigung des Islam, aus ihr ergibt sich die kollektive Pflicht (fard
kifayah). Dementsprechend sind die Bessergestellten in der Gesellschaft dazu
verpflichtet, für die Ärmeren zu sorgen, insbesondere für diejenigen, die zum
Beispiel durch körperliche Beeinträchtigung nicht zur Selbstversorgung fähig
sind.[29]
Allerdings soll dabei keine Abhängigkeit entstehen, das Grundziel der
Finanzierung von Armen beinhaltet vielmehr vor allem Investitionen, die dazu
dienen, humane Fähigkeiten wie Bildung zu fördern.
Insgesamt lassen sich drei Hauptziele auf dem Gebiet der
Reichtumsverteilung im Islam feststellen: a) die Garantie der Erfüllung der
Grundlagenbedürfnisse aller, b) Ausgeglichenheit nicht jedoch Gleichheit bei
privatem Einkommen und c) Beseitigung von extremen Ungleichheiten im privaten
Einkommen und Vermögen.[30]
Folglich muss die Verteilung von Reichtum im Islam immer einem fairen und
gleichmäßigen Muster entsprechen, wofür Zakat, freiwillige Spenden und
Erbregeln als Mittel zur Verfügung stehen. Außerdem beinhaltet der Koran die
Pflicht von Verwandten, für ärmere Familienmitglieder zu sorgen. Grundlage für
diese moralische Verantwortung jedes Muslims gegenüber seinen Glaubensgenossen
sind Sure 70, 24-25 „die sich verpflichtet fühlen, einen bestimmten Anteil an
ihrem Vermögen dem Bettler und Unbemittelten zu überlassen“ und Sure 73, 20
„...Aber verrichtet das Gebet, gebt die Almosensteuer und gebt (indem ihr gute
Werke tut) Gott ein gutes Darlehen!“[31]
Diese und weitere Koranstellen machen die Sorge für das Wohlergehen und dessen
Förderung zu einem unverletzlichen Befehl der Pflichterfüllung gegenüber dem
Mitmenschen, dem huquq al ibad.[32]
Neben der Zakat bietet der Islam mit der Waqf, der
wohltätigen Stiftung, das ideale Mittel zur Gründung sozialer Einrichtungen an.
Diese freiwillige Finanzspende der Reichen dient dazu, regierungsunabhängige
soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser zu errichten.[33]
In dieser Form muss eine Waqf Einrichtung sich nicht ausschließlich an Arme
richten, sondern sie kann auch auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sein. Ihre
wesentlichen Merkmale sind ihre Dauerhaftigkeit und Nutzbarkeit zur
Bereitstellung von Einkommen, Bildungsmöglichkeiten oder Arbeitsplätzen für
sozial Schwache. Wegen dieser bedeutenden Funktion gibt es in vielen
islamischen Ländern eigene Ministerien, die sich um die Erhaltung und Kontrolle
von wohltätigen Stiftungen kümmern. Der muslimische Ökonom Saed Abul Hasan
beschreibt anschaulich wie Waqf kombiniert mit Zakat als Quelle genutzt werden
kann, um Einkommen für Arme zu schaffen (vgl. Abb. Nr.1). Er führt hier das
Konzept der Kooperation (Ta’awun) ein, welches die Muslime zum Aufbau von
wohltätigen Organisationen auffordert. So sollen zum Beispiel Großunternehmer
aus Industrie und Handel Kleinbetriebe oder Neustarter unterstützen, anstatt
sie durch unlautere Mittel zu behindern.[34]
Als den Eckpfeiler des islamischen Sozialsicherheitssystems
bewerten die Gelehrten jedoch eindeutig die Zakat, da sie die Erwartung
beinhaltet, für jeden Bürger ein Minimum an Lebensstandard sicherzustellen und
damit die Wirtschaft auf eine Linie mit dem Prinzip der Gleichheit zu bringen..[35]
Trotzdem muss immer beachtet werden, dass die Zakat keinen Ersatz für andere
soziale Maßnahmen durch den Staat, wie Versicherung, Arbeitslosenunterstützung
usw. darstellt. Sie ist vielmehr eine soziale Selbsthilfeinstitution, die
gemeinsam mit weiteren Maßnahmen dazu dienen soll, die Armut zu reduzieren.
Allerdings ist der muslimische Staat dazu verpflichtet, sowohl dass Einsammeln
als auch die korrekte Verteilung der Zakat durch Beamte sicherzustellen. Hierzu
dürfen die Behörden gemäß Koran sogar Zwang anwenden.[36]
Moderne islamische Wirtschaftswissenschaftler unterstreichen
vor allem die Rolle von Zakat als Vermehrungsfaktor von Einkommen. Sie erklären
dies durch die Beziehung zwischen Zakat Rate und Verdienst beruhend auf sich
ändernder Investitionsebene. Ihr Argument ist, dass jeder wohlhabende Muslim
von sich auch Vermögen aktiv einsetzt, anstatt es zu horten, da der Besitz
einer größeren Vermögenssumme zeitgleich eine höhere Zakatrate beinhaltet.[37]
Folglich gehen die muslimischen Ökonomen davon aus, dass Reiche von sich aus
Investitionen vornehmen, um nicht zu viel Zakat zahlen zu müssen und so
gleichzeitig dem Wohl der Allgemeinheit dienen, beispielsweise durch Schaffung
neuer Arbeitsplätze. In diesem Sinne darf Zakat auch für staatlich organisierte
soziale Hilfsprogramme genutzt werden, die über ihre eigentlichen Aufgaben im
koranischen Sinne hinausgehen. Hier zeigt sich eine klare Anpassung von
urislamischen Normen an die Gegebenheiten der Moderne, da unter Möglichkeiten
für Zakat Nutzung unter anderem Schaffung für Arbeitsplätze, Familienwohlfahrt,
Altenpflege, Arbeitslosenversicherung und die Sicherung eines Mindesteinkommens
aufgelistet sind.[38]
Das hier bisher vorgestellte Bild des islamischen Wohlfahrtssystems
auf Grundlage der Zakat beinhaltet jedoch ein Schlüsselproblem. Es ist einzig
und allein in einem gänzlich islamischen Staat mit der Scharia als
Rechtsgrundlage möglich. Folglich fordern islamische Wirtschaftswissenschaftler
und Befürworter des Islamismus den Aufbau von islamischen Staaten, in denen
dass Allgemeinwohl von der Gesellschaft garantiert und soziale Gerechtigkeit
mittels der Zakat manifestiert würde.[39]
Wie die Geschichte am Beispiel des Iran und Sudan zeigt, ist ein solcher Staat
selbst in der islamischen Welt kaum realisierbar. Dennoch sind islamische
Ökonomen vor allem aus den ärmsten muslimischen Ländern, wie Pakistan oder
Bangladesh,[40]
darum bemüht zumindest Teile eines islamischen Wohlfahrtsstaates aufzubauen.
Wenn man sich diese Situation bewusst macht, wird klar, wie viel schwerer es
für Muslime in Europa ist, die vom Islam vorgesehenen Bestimmungen zur
Linderung von Armut zu erfüllen. Wie sehen diese Probleme aus und welche
Lösungsmöglichkeiten gibt es?
4. Muslime in der Diaspora: Umgang mit religiösen Pflichten
im Nicht-muslimischen Staat
Für Muslime in der Diaspora besteht grundsätzlich das
Problem, wie sie ihre religiösen Pflichten erfüllen sollen. Da sie nicht in
einem nach islamischen Prinzipien organisierten Staat leben, wären sie
grundsätzlich von ihrer Pflicht zur Wohlfahrt befreit. Dies steht jedoch im
Widerspruch zur Eigenschaft der Zakat als einer der fünf Säulen des Islam, die
jeder wohlhabende Muslim einmal jährlich zu leisten hat. Hier stehen also Pflicht
des Gläubigen und die im Islam vorgesehene staatliche Verantwortung zur
Armenfürsorge im Widerspruch miteinander. Letztere ist wie zum Beispiel in
Deutschland durch das soziale Netz von Arbeitslosengeld und Sozialfürsorge
gegeben. So sieht Ciazkca das deutsche Prinzip der Subsidiarität als
vergleichbar mit dem islamischen Konzept des Waqf an, da es eine hervorragende
Kooperation und Aufteilung von staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen
auf dem Gebiet durch Sozialdienststellen gewährleiste. Auch sorge das
Subsidiaritätsprinzip ganz im islamischen Sinn dafür, dass die Mittel
tatsächlich die Bedürftigen erreichten.[41]
Durch den nicht-islamischen Staatscharakter existiert jedoch trotz gelungener
Armenfürsorge keine staatliche Instanz zur Einsammlung von Zakat-Geldern, so dass
Muslime ihrer Glaubenspflicht genüge tun könnten.
Gespräche mit Muslimen in Deutschland haben im Sinne von
Ciazkca ergeben, dass diese sich durch das westliche Sozialsystem als genügend
gesichert betrachten, da es auch für sie gültig ist. Ihrer Zakatpflicht kommen
sie daher häufig nach, indem sie diese Abgabe individuell an ihren Heimatort
oder Verwandte senden, die bedürftig sind. Grundsätzlich gilt in solchen
Fällen, dass der dritte Glaubenspfeiler für Diaspora Muslime eine private
Angelegenheit ist. Nur wenn es sich um eine größere Gemeinschaft von Muslimen
in der Diaspora mit einer eigenen Moschee handelt, ist deren Vorsteher, der
Imam, für den korrekten Umgang mit der Pflichtabgabe, ihr Einsammeln und
Verteilen, verantwortlich.[42]
Die geschieht dann entweder innerhalb der Gemeinde, zum Beispiel durch die
Nutzung der Zakatgelder für Koranunterricht oder den Erhalt der Moschee, oder
durch ihre Weiterleitung an einen muslimischen Staat. Auch islamische Schulen
sind eine traditionelle Anlaufstelle, an der Muslime ihre Zakatpflicht in
nicht-muslimischen Gebieten nachkommen können.
Schließlich haben sich im Verlauf der 1980er Jahre
muslimische Nicht-Regierungsorganisation und Projekte als eine weitere
Möglichkeit für Muslime in der Diaspora aufgetan, ihre religiöse Pflicht zu erfüllen.[43]
Dieses ist allerdings nicht gänzlich unumstritten. Grundsätzlich gibt es
verschiedene Ansichten unter gegenwärtigen muslimischen Juristen, inwiefern die
Zahlung von Zakat an Organisationen oder in Projekte im Einklang mit dem Islam
steht. Gegner lehnen dies als gänzlich unislamisch ab, die Mehrheit der
Gelehrten vertritt jedoch die Meinung, dass Spendengelder an muslimische
soziale Organisationen geleistet werden dürfen. Deren Leistungen müssen
allerdings im Einklang mit dem Koran stehen, die Projekte dürfen in keinem Fall
Profit abwerfen.[44]
Üblicherweise engagieren sich
muslimische Nicht-Regierungsorganisationen wie die Islamische Gesellschaft von
Nordamerika in der Unterstützung von Schulen und Gemeindezentren auf lokaler
Ebene und haben nebenher einen Zakat-Fond eingerichtet.[45]
Hier muss zwischen regionalen und internationalen Organisationen unterschieden
werden. Während auf einzelne Regionen ausgerichtete Verbände ihre Rolle
hinsichtlich der Zakat eher auf freiwilliger Ebene, vergleichbar mit der Sadaqa
ausüben, sind es vor allem überregionale und internationale Institutionen, die
offen für online Zahlung von Zakat werben. Islamic Relief, Muslim Aid, und
Human Concern International sind einige Beispiele für diese muslimischen
Nicht-Regierungsorganisationen, die sich auch international in der humanitären
Entwicklungsarbeit engagieren.[46]
Wie bisherige Studien zur Wirkung dieser Organisationen der
gesamten arabisch-islamischen Welt zeigen, haben sich solche am Glauben
orientierten sozialen Wohlfahrtsprogramme einen sehr guten Ruf verschafft.[47]
Sie sind häufig effektiver als offizielle staatliche Sicherheitsnetzwerke,
sodass sie diese teilweise sogar ersetzen. In den westlichen Staaten lassen
sich jedoch auch im sozialen Bereich die Auswirkungen des 11. Septembers 2001
feststellen. So leiden hier islamische Wohlfahrtsorganisationen daran, dass sie
als terroristisch betrachtet werden. Einige Einrichtungen wurden daher
geschlossen, andere sind einem strengen Reglement zur Kontrolle ihrer Aktivitäten
unterworfen.[48]
Zu den Organisationen, die von diesen Maßnahmen betroffen waren, gehört auch
die Global Relief Foundation. Diese islamische Wohltätigkeitsorganisation mit
Sitz in Ilinois wurde am 14.12.2001 geplündert, geschlossen und 2002 zudem vom
US Finanzministerium auf die Liste der „Designated Charities and Potential
Fundraising Front Organizations for Foreign Terrorist Organizations“ gesetzt.
Das FBI hatte eine Verbindung zwischen Osama bin Laden und dem Gründer der
Organisation festgestellt auch soll es Beziehungen zu europäischen al-Qaida
Mitgliedern gegeben haben.[49]
Trotz dieser problematischen Situation stellen diese
internationale Wohltätigkeitsverbände gerade für Muslime in der Diaspora oft
die einzige Möglichkeit dar, ihre koranischen Pflichten zu erfüllen. Das
folgende Beispiel soll die Ansätze und Methoden solcher Gruppen vorstellen,
wobei es insbesondere um Versuche geht, international anerkannt zu werden und
Misstrauen entgegenzuwirken.
5. Internationale muslimische Wohlfahrtsorganisation –
Fallbeispiel Islamic Relief
Islamic Relief ist eine weltweite muslimische
Wohltätigkeitsorganisation.[50]
Sie wurde im Jahr 1984 von Dr. Hany El Banna im Vereinigten Königreich von
Großbritannien gegründet, ihre Zentrale befindet sich seit 22 Jahren in der
englischen Stadt Birmingham. Mit einem Stab von gut hundert Mitarbeiten
verschiedener ethnischer und kultureller Herkunft überwacht das Hauptquartier
von dort aus die Tätigkeit ihrer über 1500 Festangestellten Mitarbeiter und
zusätzlichen freiwilligen Helfer. Ihre Mission leitet die Organisation von
Koran Sure 5:32 ab „Und Wenn einer jemanden (w. ihn) am Leben erhält (w.
lebendig macht), soll es so sein, als ob er die Menschen alle am Leben erhalten
(w. lebendig gemacht) hätte.“[51]
In diesem Sinne widmet sie sich der Verminderung der Armut
und der Not der ärmsten Teile der Weltbevölkerung. Als unabhängige Nichtregierungsorganisation
beteiligt sich Islamic Relief sowohl an Sofortmaßnahmen bei Naturkatastrophen
und Unglücksfällen als auch dauerhaften Wirtschafts- und
Sozialentwicklungsprogrammen in Kooperation mit lokalen Gruppen. Insgesamt weist die Organisation sechs
verschiedene Aktivitätsbereiche aus: Einkommenssicherung /Entwicklungsprojekte,
Jugend- bzw. Waisenfürsorge, Gesundheit und Ernährung, Bildung, Wasser und
Hygiene sowie Notfall- bzw. Soforthilfe. Im Bereich Gesundheit und Ernährung
arbeitet die Organisation beispielsweise an der Ausstattung und dem Aufbau von
Gesundheitszentren, in denen Hebammen und Geburtshelfer ausgebildet werden
können aber auch direkte Versorgung mit Medikamenten und Einweisung in richtige
Ernährung und Hygiene gewährleistet wird.[52]
Eng verbunden sind die Bereiche der Jugendfürsorge und Bildung. Beide leben
neben der individuellen Fürsorge bei Waisen ein hohes Augenmerk auf die Rolle
von Schul- und Berufsausbildung als Grundlage für stabile Familien und die
Beseitigung von Armut.[53]
Der Tätigkeitsbereich von Islamic Relief umfasst über dreißig
Staaten mit muslimischer Bevölkerung in Europa, Asien, dem Nahen Osten und
Afrika. Der gegenwärtige Hauptanteil ihrer ‚Field Offices’ befinden sich
derzeit in afrikanischen Staaten wie Somali, Äthiopien, Mali und dem Sudan
sowie auf dem asiatischen Kontinent in Afghanistan, Indonesien, Indien und
Pakistan. Aufgabe der ‚Field Offices’ ist es die Überwachung von langfristigen
Entwicklungsprojekten in diesen Ländern, die Koordination von
Waisenpatenschaften und die Durchführung von Nothilfemaßnahmen.[54]
Mithilfe von online Publikationen gibt Islamic Relief umfassende Berichte über
ihre Tätigkeit in verschiedenen Bereichen an. Einzelne Ausgaben ihrer online
Zeitschrift legen so Rechenschaft über Projekte und deren Fortschritte in
verschiedenen Katastrophengebieten ab. Als Beispiele seien hier der aktuelle
Rechenschaftsbericht zur Notfallhilfe für die Zyklone in Nargis und Myanmar,
die Berichte Ergebnissen von Hilfsmaßnahmen nach dem Erdbeben in Südasien 2006
und dem Tsunami 2004 sowie über Partnerschaften in Afghanistan, Libanon und
Afrika aufgeführt.[55]
Islamic Relief ist also eine muslimische
Nicht-Regierungsorganisation, welche sich von ihrem Aufgabenfeld her mit
Caritas vergleichen lässt. Als nach islamischen Prinzipien eingerichtete
Organisation richtet sich ihr Aufbau nach den im Islam vorgesehen Richtlinien
für den Umgang mit Armut. So findet sich auf der englischen Homepage der
Organisation eine ganze Reihe von Handbüchern, welche den Mitarbeitern aber
auch potenziellen Spendern konkrete Definitionen für Armut, den von der
Organisation vorgeschriebenen Benimmkodex und einzelne Programme liefern.
So bietet der zweite Anhang zu Armutsdefinitionen eine klare
Bestimmung darüber, was die Anfänge der Armutslinie im muslimischen Sinne sind
und welche Bedürfnisse der Islam als lebensnotwendig ansieht.[56]
Verursacher für Not sind in diesem Zusammenhang beispielweise rechtliche
Instrumente, welche die freie Ausübung der Religion einschränken, keine
Gebetsplätze, ein zu niedriger Konsumlevel, der Zugang zu ausreichend Wasser,
Nahrung sowie Ärzten und dadurch eingeschränkte Lebenserwartung sowie weniger
als fünf Stunden freier Zeit pro Woche. Aufbauend auf dieser Definition geben
weitere Quellen ausführliche Anleitungen wie Armen geholfen werden soll, eine
Zukunft aufzubauen. Zweck dieser Handbücher, oder wie die Eigenbezeichnung der
Organisation sagt ‚Learning Resources’, ist es den Mitarbeitern einen Leitfaden
zu geben, mit dessen Hilfe Islamic Relief das Vertrauen in Projekte stärken will
und zugleich die Option zur Kritik gewährleistet.
Die Organisation bietet zudem den Gläubigen vor allem im
Ausland Möglichkeiten ihre (freiwilligen) Spenden und Zakatpflichten zu
erfüllen, die zugleich als Finanzquelle dienen. Auf den homepages der verschiedenen
ländergebundenen Islamic Relief Büros, so zum Beispiel der Deutschen Webseite,
findet sich auch eine Rubrik, die umfassend über Spendenmöglichkeiten für
Muslime informiert.[57]
Die homepage der Mutterorganisation in Großbritannien bietet sogar eine online
Zakat Berechnung an und geht umfassend auf mögliche Fragen zur Zakatplicht ein,
z.B. welche Teile des Besitzes davon betroffen sind und wann gezahlt werden
muss.[58]
6. Zusammenfassung
Die Darstellung zeigt, dass Armut und Arme eine zentrale
Rolle im Leben aller Muslime spielen. Auch wenn Vorstellungen von einem
islamischen Wohlfahrtsstaat sicherlich nur schwer zu realisieren sind, gibt es
einige interessante Ansätze und Vergleiche zu westlichen Sozialsystemen.
Insbesondere der Bereich der muslimischen internationalen
Wohlfahrtsorganisationen zeigt ein großes Interesse der islamischen Weltbürger,
an der internationalen Armutsbekämpfung und Entwicklungspolitik teilzunehmen.
Hierzu liefern Koran, Prophetenbiografie und Überlieferungen sowohl auf die
heutige Zeit übertragbare Institutionen als auch rechtliche Grundlagen und
sogar eine finanzielle Basis. Die muslimische Sichtweise von Armut und Armen
steht nicht nur im Einklang mit christlichen und jüdischen Vorstellungen,
sondern übertrifft diese dadurch auf theoretischer Ebene sogar. Es muss jedoch
beachtet werden, dass es zwar für Muslime in der Diaspora neuerdings
verhältnismäßig leicht ist, die Grundsätze der Allgemeinwohlfahrt laut Koran zu
erfüllen, global gesehen die Mehrzahl der Bevölkerung in islamischen Ländern
aber nach wie vor in tiefster Armut lebt.
[1]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 19 und 81.
[2]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.]1993, S. 214.
[3]
Dardawi, Yusuf al-: Poverty and it’s solution in Islam, Neu Delhi, 2004, S. 28.
[4]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage,
Stuttgart {u.a.], S. 130.
[5]
Sentürk, Ömer Faruk: Wohltätigkeit im Islam – Die Zakat, Istanbul 2008, S. 135.
[6] Bonner, Michael: Poverty and
Economics in the Qur’an. In: Journal of
Interdisciplinary History 35,3 2005), S. 391-406, S. 405.
[7] Bonner, Michael: The Kitab al-kasb
attributed to al-Shaybani: In: Oriental Society 121,3 (2001), S. 410-427, S.
416.
[8] Dardawi, Yusuf al: Poverty and its
Solution in Islam, New Delhi, 2004, S. 81 und S. 88.
[9] Übersetzt nach: Bonner, Michael:
The Kitab al-kasb attributed to al-Shaybani. In: Oriental Society 121,3
(2001), S. 410-427, S. 417.
[10]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 71.
[11]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 429.
[12]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 416.
[13] Bonner, Michael: Poverty and
Economics in the Qur’an,. In: Journal of Interdisciplinary History 35,3 (2005),
S. 391-406, S. 396.
[14] Chapra, Umar M.: Islam and the
Economic Challenge – the Islamic Foundation and the International Institute of
Islamic thought, Markfield 1992, S. 271.
[15] Kuran, Timur: On the Notion of
Economic Justice in Contemporary Islamic Thought, in: International Journal of
Middle Eastern Studies (IJMES) 21,2 (1989), S. 171-191, S. 172.
[16] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and
Income Distribution, Leicester 1991, S. 15-16.
[17] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and
Income Distribution, Leicester 1991, S. 19.
[18]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 295,16, 19, 22
und 68.
[19] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and
Income Distribution, Leicester 1991, S. 17 und S. 80.
[20]
Buchari, Zakat 76 und Muslim, Zakat 12, zitiert nach: Sentürk, Ömer Faruk:
Wohltätigkeit im Islam – Die Zakat, Istanbu, 2008, S. 75.
[21]
Sentürk, Ömer Faruk: Wohltätigkeit im Islam – Die Zakat, Istanbul 2008, S. 73.
[22]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 142-143.
[23] Yasser, Tabbaa: The functional
Aspects of Medieval Islamic Hospitals und Charity and Hospitality – Hospitals
in the Ottoman Empire in the Early Modern Period, in: Bonner, Michael [u.a.]:
Poverty and Charity in Middle Eastern Contexts, New York 2003, S. 95- 145.
[24] Ener, Mine: The Charity of the
Khedive. In: Bonner, Michael [u.a]: Poverty and Charity in Middle Eastern
Contexts, New York 2003, S. 185-203.
[25] Manzoor, Nayyer: Islamic Economic –
A welfare Approach, Karachi 1986, S. 26-27.
[26]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.]1993, S. 193.
[27] Naqvi, Syed Nawab Haider: Individuel
Freedom, social welfare and Islamic Economic order, Islamabad 1981, S. 20.
[28] Noor, Abdun: Outlining Social
Justice from an Islamic Perspective, an Exploration. In: Humanomics 4.2 (1998),
S. 3-23, S. 18.
[29] Sharif, Mohammed: Application of
Islamic Economic System in a Contemporary Economy: An illustration with Poverty
and Inequity in the USA. In: Humanomics 19,3.4 (2003), S. 41-54, S. 48.
[30] Munawar, Jabal (Hg.): Islamic
Economic Institutions and the Elimination of Poverty, Leicester 1991, S. 6.
[31]
Paret, Rudi: Der Koran, 6. Auflage, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 407 und 412.
[32] Chapra, Umar M: Islam and the
Economic Challenge – the Islamic Foundation and the International Institute of
Islamic thought, Markfield 1992, S. 205.
[33] Cizakca, Mevret (1986): Latest
Development in the Western On-Profit Sector and the Implications for Islamic
Awqaf, in: Chaudhury, Masud ul-Alam: Contributions to Islamic Economic Theory –
A Study in Social Economic, London 1986 , S. 264.
[34] Saed, Abul Hasan M: Waqf, perpetual
charity and poverty alleviation, in: International Journal of Social Economics
29,1.2 (2002), S. 131-151, S. 147.
[35] Ziauddin, Ahmad: Islam, Poverty and
Income Distribution, Leicester 1991, S. 52.
[36] Farishta G. de Zayas: The Law and
Philosophy of zakat (The Islamic Social Welfare System), Band 1, Damaskus 1960,
S. 283.
[37] Chaudhury, Masudul Alam:
Contributions to Islamic Economic Theory – A Study in Social Economic, London
1986, S. 13-14 und 18.
[38] Chaudhury, Masudul Alam:
Contributions to Islamic Economic Theory – A Study in Social Economic, London
1986, S. 10.
[39] Weiss, Holger: Zakat and the
Question of Social Welfare – An introductory essay on Islamic Economics and its
implications for Social Welfare in: Ders. (Hg.): Social Welfare in Muslim
Societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-38, S. 7 und 15.
[40] Siehe hierzu: Hassan, M.
Kabi/Alamgir, Dewan A.H: Microfinancial Services and Poverty Alleviation in
Bangladesh: A Comarative Analysis of Secular and Islamic NGOs. In: Iqbal,
Munawar (Hg.): Islamic Economic Institutions and the elimination of Poverty,
Leicester 1991, S. 113-187.
[41] Cizakca, Mevret: Latest Development
in the Western non-Profit Sector and the Implications for Islamic Awqaf, in.
Munawar, Iqbal (Hg.): Islamic Economic Institutions and the Elimination of
Poverty, Leicester 1991, S. 263-297, S. 278.
[42] Weiss, Holger: Zakat and the
question of social welfare: an introductory essay on Islamic economics and its
implications for social welfare, In: Ders. (Hg.): Social welfare in Muslim
societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-39, S. 26.
[43] Weiss, Holger: Zakat and the
question of social welfare: an introductory essay on Islamic economics and its
implications for social welfare, In: Ders. (Hg.) (2002): Social welfare in
Muslim societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-39, S. 26.
[44] Al-Marzouqi, Salih bin Zaben:
Investment of Zakat Money in profitable projects the revenues of which will be
given to those who deserve them. In:
Contemporary Jurisprudence Research Journal 56 (2002,03), S. 8-18, S. 17.
[45] Weiss, Holger: Zakat and the
Question of Social Welfare: an introductory essay on Islamic economics and its
implications for social welfare, in: Ders.(Hg.): Social welfare in Muslim
societies in Africa, Uppsala 2002, S. 7-38, S. 27.
[46]
Genaue Informationen zu den einzelnen Organisationen bieten die folgenden
Internetadressen: www.humanconcern.org;
www.muslimaid.org.au, zuletzt
eingesehen am 08.12.2009.
[47] Siehe hierzu: Iqbal, Munawar (Hg.):
Islamic Economic Instiutions and the Elimination of Poverty, Leicester 1991.
[48] Harrigan, Jane/ El-Said, Hamed:
Economic Liberalism, Social Capital and Islamic Welfare Provision, Basingstroke
2009, S. 9 und 15.
[49]
Global Relief Foundation, http://en.wikipedia.org/wiki/Global_Relief_Foundation,
zuletzt eingesehen am 08.12.2008.
[50]
Die Homepage der Organisation findet sich unter: www.islamic-relief.com.
[51]
Paret, Rudi: Der Koran,6.Auflage,
Stuttgart [u.a.] 1993, S. 82.
[52]
www.islamic-relief.com/whatwedo/projectList.aspx?pjCAtID=2“,
zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[53]
www.islamic-relief.com/whatwedo/projectList.aspx?pjCatID=5
und 4, zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[54]
www.islamicrelief.de/wo-wir-arbeiten/field-offices/,
zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[55]
www.islamic-relief.com/Whoweare/PartnershipNewslettersMain.aspx?depID=2,
zuletzt eingesehen am 08.12.2009.
[56]
Islamic Relief: Definitions of Poverty, Januar 2008, Annex 2, www.islamic-relief.com, zuletzt
eingesehen am 08.12.2009.
[57]
www.islamicreliefe/spende/,
eingesehen am 08.12.2009.
[58]
www.islamic-relief.com/zakat/,
eingesehen am 08.12.2009.